Im Werk von Manuela Fersen begegnet uns vieles, was vertraut erscheint, was dem eigenen Erfahrungsraum entsprungen sein könnte, aber schon die Titel irritieren. Diese Ausstellung heute heißt „Schatz, ich geh baden“ andere zuvor hat die Künstlerin „Unser Dorf soll schöner werden“ genannt oder „Gegessen wird was auf den Tisch kommt“ - seltsam phrasenhafte Aussagen: „Unser Dorf soll schöner werden“, ich bitte Sie, das ist doch ein Werbeslogan der späten 70er Jahre oder? Der Gipfel an Spießigkeit, der das Gute und Schöne auf die kleine Welt vor der eigenen Haustür beschränkt. Spießbürgerliches und Kleinbürgerliches sind Aspekte, die immer wieder im Werk auftauchen. Und es ist interessant zu schauen, was M. Fersen mit diesem Thema anstellt. Denn eigentlich entlarvt Sie hier nicht eine bestimmte Lebensauffassung, sondern Sie entlarvt vielmehr in uns allen den heimlichen und unbewussten Wunsch nach Geborgenheit, Ruhe und Zufriedenheit, der sich im Klischee der kleinbürgerlichen Welt formuliert. Und sie entlarvt ebenso unsere möglicherweise tiefsitzende Angst vor dem Vorwurf der Spießigkeit.
Manuela Fersen behandelt ihre Sujets durchaus, man möchte sagen, liebevoll, belässt ihnen ihre Würde. Ob das die kümmerliche Straßenbepflanzung ist, oder der Blick in private Wohnwelten. In der malerischen Umsetzung erhalten die Dinge immer etwas poetisches, mitunter fast idealistisches, auf der anderen Seite aber auch etwas sehr befremdliches und absonderliches, fast abstoßendes und mitunter auch unheimliches. Es geht also keineswegs um eine Erhebung über irgendetwas, etwa aus dem Gefühl einer Überlegenheit heraus, nein vielmehr geht es um eine wertfreie sehr präzise und kluge Analyse der Versprechen der kleinbürgerlichen Idylle. Zwei zentrale malerische Strategien der künstlerischen Aneignung, Analyse und schließlich auch Verwandlung der Motive lassen sich ausmachen: 1. die Strategie der Auflösung in Malerei, 2. das Verfahren der so genannten cut outs.
Zur Strategie der Auflösung der Dinge in Malerei: so zeigt beispielsweise das Motiv der Einladungskarte eine fast fotorealistisch ausgeführte Darstellung einer Kindfrau im Vordergrund, die geschäftig telefoniert. Das Kind hinter ihr, das sich bei näherem Hinsehen als Bild im Bild erweist, hingegen ist mit einem sehr viel lockerem schnellerem Duktus ausgeführt, die Formen bleiben Andeutung, gehen weniger ins Detail. In anderen Bildern haben wir herunterlaufende Farben, die in einigen Werken eine anheimelnde Holznachbildung, beispielsweise als Vertäfelung oder als Schrankwand, imitieren. Sie kopieren reale Strukturen als Nachbildungen der Nachbildung, gewinnen innerhalb der Bildkomposition aber immer auch einen gewissen Eigenwert als pure Malerei, lösen Wirklichkeit in Malerei auf. Besonders augenfällig ist das der Fall im Motiv des Hauses im Regen („Schöne Aussicht“). Hier verschwindet das Dach beispielsweise buchstäblich unter der laufenden Farbe, die uns den Regen imitiert. Mit diesen malerischen Strategien schließt Fersen direkt an zentrale zeitgenössische Maler wie Peter Doig oder Matthias Weischer an, was sie wiederum allerdings von diesen unterscheidet möchte ich mal vorsichtig eine selbstreflektierte und selbstbewusste weibliche Sicht der Dinge nennen. Ihren Focus auf das Private, das subjektiv Empfundene oder Erinnerte, auf die kleinen Dinge des Alltags präsentiert Fersen mit einer Scharfsichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die den Vorwurf einer auf das Weibliche beschränkten Sicht absolut nicht zu fürchten braucht. Manuela Fersen geht es immer um Allgemeingültiges, um unsere verborgenen Ängste und Wünsche letztlich auch. Und ganz konkret geht es um die Entlarvung des Klischees, um die Entlarvung des Imitierens und Simulierens von Zufriedenheit in der Ästhetik der kleinbürgerlichen Idylle; denn die heile Welt des Bürgers ist ja gar nicht wirklich heil, sie simuliert diesen Zustand lediglich. Und hier taucht sie Frage auf ob nicht auch andere Lebensarten etwas klischeehaftes anhaftet, das kann die Jetset-Schönheit oder der Lottomillionär sein. In der neuen Serie der Bügelbretter zeigt M. Fersen uns andere Lebensweisen, die ebenfalls lediglich Vorstellungen von Glück simulieren. Da haben wir die ausschweifende Sexualität, schnelle Autos ein glücklich lachendes Paar im Grünen, eine Reihe gepflegter Eigenheime, einen Swimming Pool, alles Bilder wie sie aus einem Werbeprospekt für Bausparer entsprungen sein könnten.
Diesen Träumen diametral gegenüber stehen in der Realität ganz andere Erfahrungen, die das Klischee ausblendet: enttäuschte Erwartungen, Frustration, Depression und die Erfahrung innerer Zerrissenheit, des Getrenntseins, des Gefühls vielleicht, dass man letztlich doch allein ist. Ein Ausdruck dieser Erfahrung in der Kunst im 20. und 21. Jh. ist das Motiv des Fragments, das schon in der Romantik ein Inbegriff der inneren Zerrissenheit des Menschen war, der sich nicht mehr darauf verlassen konnte, dass die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit und die Wirklichkeit selbst automatisch deckungsgleich sind. Dieses Misstrauen gegenüber der Verlässlichkeit der eigenen Wahrnehmung findet seinen Ausdruck beispielsweise im Kubismus wie in den zerstückelten Frauen eines Pablo Picasso. Und damit komme ich zum zweiten künstlerischen Verfahren bei Manuela Fersen zu den so genannten Cut Outs: Immer wieder werden Darstellungen bei Fersen nicht zu Ende geführt, schließen mit einer harten Kante ab, die Motive werden regelrecht beschnitten, manchmal indem die Leinwand selbst entsprechend zum Bildgegenstand geformt wird. Ähnlich präzise wie Hannah Höchs Schnitt mit dem Küchenmesser DADA durch die letzte Weimarer Bierbauch Kulturepoche Deutschlands löst Manuela Fersen die Insignien des kleinbürgerlichen Klischees aus den Zusammenhängen: schneidet sie mit einem messerscharfen Sezierbesteck heraus: die Möbelstücke, Vasen, Sofakissen oder Blumen werden radikal isoliert und enthüllen uns ihre Natur, erzählen uns von den Bedürfnissen der Menschen nach heimeliger Gemütlichkeit und geschmäcklerischer Dekoration.
Indem sie sie isoliert, entfremdet sie die Gegenstände ihrer Herkunft, und gibt ihnen damit auch ein poetisches Eigenleben, offen für unsere eigenen Assoziationen und Projektionen. Die Gegenstände werden formal wie inhaltlich in der Schwebe gehalten, fähig zu immer neuen Verbindungen im Raum. An dieser Stelle wird ein weiterer ganz zentraler Aspekt im Werk von Manuela Fersen augenfällig, das Verfahren einer raumgreifenden Malerei nämlich, mit der sie die separierten Versatzstücke in Beziehung setzt zum dreidimensionalen Raum, zur Wandfläche, zum Boden und zur Decke. Bilder die frei im Raum stehen, enthüllen zugleich immer auch ihre Realität als zweidimensionale Objekte, und auch die Holzimitatstrukturen oder die dekorativen Muster, mit denen sie die Wände in das künstlerische Gesamtkonzept einbezieht, stehen als zweidimensionale Wirklichkeit diametral zum Konzept des Bildes als dreidimensionaler Illusionsraum, diskutieren also quasi im Werk mit den Mitteln der Malerei deren Möglichkeiten und Grenzen. Und hier zeigt sich, dass es Fersen nicht um die Einzelanalyse geht, sondern um grundlegende Überlegungen zum Wesen der Kunst, zu den verschiedenen Wirklichkeitsebenen des Bildes.
Und damit komme ich zu einem letzten Aspekt, der in dieser Ausstellung eine zentrale Rolle spielt, von dem aber bislang noch nicht die Rede war, nämlich zu den Menschen im Werk von Manuela Fersen, und genauer zu den erwachsenen Kindern, die hier in verschiedenen Posen erwachsenes Verhalten zeigen, als coole Agentin oder gar Kriminelle mit gerichteter Waffe, geschäftig am Ladentresen und am Telefon, mit Freundinnen beim Gruppenfoto oder auch in der Rolle der Hausfrau und Mutter. Alle diese Kindsköpfe in erwachsenen Körpern stellen zunächst einmal weibliche Rollenklischees dar. Was aber genau geschieht durch die Konfrontation kindlicher Köpfe und erwachsener Gebärden und Körper? Zunächst einmal kommen die Kinder uns sehr nah, unangenehm nah. Angesichts großer Augen und kindlicher Gesichtszüge greift das so genannte Kindchenschema. Andererseits entsteht in Anbetracht der irritierenden Erwachsenenkörper ein gewisses Unbehagen: Gleichzeitig greifen sie nämlich das LOLITA Motiv auf. Und so entsteht ein wechselseitiges Spiel zwischen Anziehung und Abstoßung, das von einer klugen Kenntnis der menschlichen Psyche zeugt. Fersen vollführt eine generelle Irritation in der Vermischung von Kindheit, die ja vermeintlich sorglos ist, und dem Erwachsensein, das gleichgesetzt wird mit Verantwortung und Abgeklärtsein, wobei eben beides in Frage zu stellen ist, denn vieler Kinder Kindheit ist keineswegs sorglos, es gab noch nie so viele Kinder, die unterhalb der Armutsgrenze leben wie heute, und es gab noch nie so viele Erwachsene, die nicht erwachsen werden wollen. Der Journalist Claudius Seidl hat den unaufhaltsamen Jugendwahn in seinem Buch „Schöne junge Welt“ ausführlich analysiert. Leute, die heute in den Vierzigern sind, pflegen ein Lebensgefühl, das bis vor einiger Zeit dem der Dreißiger entsprach, gleiches gilt entsprechend für die Menschen in den Fünfzigern, die das Lebensgefühl der Vierziger pflegen. Menschen wollen scheinbar ewig jung sein. Bei M. Fersen wird dieser Wunsch ins Groteske getrieben, und berührt dadurch doch umso mehr. Exemplarisch zeigt sich hier noch einmal: symptomatisch im Werk von Fersen ist ein hohes Maß an spannungsvoller Ambivalenz, mit der die Künstlerin ihre Motive in der Schwebe und uns im Ungewissen hält. Andererseits öffnen sich die Werke damit als Projektionsräume für das nicht Sichtbare, für eigene Assoziationen, verborgene Wünsche, Ängste oder Erinnerungen. Ich wünsche Ihnen nun ganz viele wertvolle eigene Einsichten und Erfahrungen in der Begegnung mit den komplexen Bildwelten von Manuela Fersen, und darf mich mit diesen Worten von Ihnen verabschieden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ausstellung im Kunstverein Wolfenbüttel, Eröffnungsrede am 22.01.2006 von
Anne Prenzler