Justin Hoffmann, Kunstverein Wolfsburg, Anmerkungen zu „Steve McQueen versucht eine Skulptur zu sein“
Textfassung der Eröffnungsrede der Ausstellung von Fersen und Weissköppel im Kunstverein Herford

Im Folgenden möchte ich Ihnen nicht nur das Werk von Manuela Fersen und Michael Weißköppel näher bringen, sondern auch jenes von Steve McQueen, dem Protagonisten des Ausstellungstitels, der eine Transformation vom Star zum Kunstwerk zu vollziehen beabsichtigt. Von ihm stammen die Zitate, die auf großen Seifenblasen stehen, die von beiden Künstlern an verschiedenen Orten im Kunstverein verteilt wurden. Unter diesen Seifenblasen ist mir folgender Satz besonders aufgefallen: „Für dich ist Gewalt ein Teil deines Lebens“. Gewalt war für Steve McQueen in der Tat ein zentraler Faktor seiner Biografie, im realen Leben wie im filmischen. Der Schauspieler und Amateurrennfahrer wäre heuer achtzig Jahre alt geworden, starb aber bereits mit fünfzig im Jahr 1980. Steve McQueen stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Schon frühzeitig schloss er sich Banden an. Mit 14 Jahren kam er in ein Heim für schwererziehbare Kinder. Mit 17 verpflichtete er sich für drei Jahre den Marines, der härtesten Truppe unter den amerikanischen Streitkräften. Danach änderte sich sein Leben und er wurde Schauspieler. Er avancierte zum Haudegen auf der Leinwand. Mit dem Kurosawa-Remake „Die Glorreichen Sieben“ feierte er 1960 seinen Durchbruch. Noch zwei andere dieser Siebenerbande sind neben McQueen in der Ausstellung innerhalb der Filmstar-Arbeit „Feucht im Schritt“ zu finden: Charles Bronson und Yul Brynner. Das Soldatenleben ließ ihn auch im Film nicht los. Berühmt wurde Steve McQueen mit dem Kriegsfilm „Gesprengte Ketten“. Er spielt dabei einen Kriegsgefangenen, der aus einem Nazi-Gefangenenlager flieht. Mir persönlich gefällt unter den Filmen, in denen McQueen mitwirkt, „Papillon“ am besten. Auch er handelt von einer dramatischen Flucht. In der Ausstellung lässt sich eine Referenz zu einem weiteren Film finden: „Getaway“ aus dem Jahr 1972. In gleichnamiger Installation wird in abstrahierter Form eine Filmszene nachgestellt. Als schwarze Silhouetten erscheinen lebensgroß die Hauptdarsteller Steve McQueen und Ali McGraw. Misstrauen und Liebe kennzeichnet in der Filmhandlung deren Beziehung und gleichermaßen die von den Künstlern konstruierte Situation. Der Film kam ursprünglich unter dem Titel „Ein Mann explodiert“ in die Kinos, zwei Jahre vor einem Film mit gleichermaßen martialischen Titel: „Ein Mann sieht rot“ mit Charles Bronson.

Ein anderes Zitat auf einer Sprechblase lautet: „In Ordnung“. Aber nichts scheint hier in Ordnung zu sein. Entweder zeigt diese Ausstellung Bilder, die als Teile aus einem Gesamtzusammenhang heraus gelöst sind, wenn sie nicht direkt aus dem Bildergrund geschnitten wurden, oder sie wirken wie unvollendet. Kein „normales“ Gemälde auf rechteckiger Leinwand, vollständig ausgemalt, ist in dieser Ausstellung zu finden.

Die aus Kontexten heraus getrennten Motive werden von Fersen und Weissköppel als Cutouts bezeichnet. Zu dieser Gruppe gehören die Sprechblasen-Arbeiten, architektonische Sujets, die Actionfilmhelden von „Feucht im Schritt“ und das Mobiliar von „My Late Father“, das hier neu zusammengestellt bzw. ergänzt wurde und vor kurzem noch den Titel „Müller“ trug. Da diese Motive dekontextualisiert sind, besitzen sie in der Regel kein Rechteckformat. Der Umriss des Bildgegenstands wird hier zur Bildkante. Einer übergeordneten Struktur entrissen können die Cutouts frei im Ausstellungsraum positioniert werden. Ausgeschnitten sind die Dinge beweglich und potenziell interaktiv. Man kann sie stapeln, nebeneinanderstellen, die unterschiedlichsten Kombinationen scheinen möglich zu sein. Cutouts stehen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. Durch die naturalistische Malweise vermischen sich hier Realraum und der Illusionsraum des Bildes. Da die Cutouts nicht, wie es der Konvention entspricht, rechtwinklig sind, wirken sie auch nicht wie Fenster, die den Blick auf etwas frei geben. Andererseits sind sie konventionell gerahmt, haben ein bestimmtes Volumen und erscheinen so als flache Körper. In der Popmusik würde man die Cutouts als Samples bezeichnen. Es sind musikalische Fragmente, die wie Bausteine in differente Zusammenhänge gebracht oder – wie man in der DJ-Sprache sagt – neu remixed werden können.

Gleichermaßen fragmentarisch aber auf ganz andere Weise sind die scheinbar unvollendeten Gemälde: die Non Finito. Auf ihnen sind meist urbanistische Motive mit Anspielungen auf Stadtentwicklungskonzepte zu sehen. Die Linien darauf erinnern an eine Vorzeichnung. Nur einzelne Partien dieser Gemälde sind ausgearbeitet. Die ausformulierten Stellen setzen dabei überraschende Akzente. Der schwarze Rauch auf dem Gemälde „Flammendes Inferno“ (ebenfalls ein Steve McQueen-Film) nimmt die Gestalt eines Ungeheuers an. Vieles wird in diesen Bildern nur angedeutet. Immer wieder bleiben Stellen offen, frei für die Phantasie des Betrachters.

Also doch alles in Ordnung! Fersen und Weissköppel produzieren raffinierte, immer wieder überraschende Systeme, die an Umberto Ecos Theorie vom Offenen Kunstwerk denken lassen. Nach Eco hat die Moderne Kunst die Unabgeschlossenheit und das Fragment zum Programm erhoben. Die freie Kombinierbarkeit und das Publikum als potenzieller Mitgestalter sind Charakteristika des Offenen Kunstwerks und entsprechend Kennzeichen dieser Ausstellung.

Eine lokale Tageszeitung überschrieb ihren Bericht über diese Ausstellung mit „Pop im Pöppelmann-Haus“. Was aber erweckt diesen Eindruck? Was macht diese Präsentation eigentlich zu Pop? Darauf möchte ich näher eingehen.

Neben den bereits genannten Anspielungen zu Actionfilmen sind es die Bilderwelten des Comics und der Werbung, auf die sich Fersen und Weissköppel beziehen. Eine deutlich sichtbare Referenz zu deren visuellen Sprachen bildet natürlich die Verwendung von Seifenblasen, die sich an verschiedenen Wänden des Herforder Kunstverein befinden. Sie verwandeln in gewissem Sinn die ganze Ausstellung in einen Comic Strip: Wände fangen an zu sprechen und scheinbar kann man die Gedanken von Besuchern lesen, die zufällig vor Seifenblasen stehen. Hinzu kommt die Tendenz zu Umrisszeichnungen, die ebenfalls an Comics insbesondere des Claire line-Stils à la Hergé denken lassen. Und dann besitzen diese narrativen Strukturen in der Regel einen Helden. Für diese Ausstellung haben wir Steve McQueen als ihren Star und Helden bereits tituliert.

In den Bildern der Werbung spiegeln sich die Träume der Menschen; aus dem Blickwinkel der Wirtschaft gesehen die Wünsche von Konsumenten. Auch Starbilder, wie die Vorlagen für „Feucht im Schritt“ wecken Sehnsüchte. Die Gemälde auf Bügelbrettern der Arbeit „Meanwhile“ aus dem Jahr 2005 basieren ebenfalls auf Darstellungen aus der Welt der Werbung und der Medien. Sie zeigen Traumhäuser, Traumfamilien oder Traumsex. Alle Motive stehen mit Heim, Besitz und Sexualität in Verbindung und repräsentieren eine „ideale Hausfrau“. Die Materialität der Bügelbretter, in diesem Fall der Malgründe, verweist aber in eine andere Richtung: sie erinnern an mühsame Hausarbeit.

Das Ouevre von Fersen und Weissköppel steht durchaus in der Tradition der Pop Art. Von Pop Art-Künstlern der 1960er Jahre wurden immer wieder Motive und Techniken der kommerziellen Bildproduktion aufgegriffen und verfremdet. Was mich insbesondere an das Werk von Robert Rauschenberg erinnert, ist das Bemühen Skulptur und Gemälde zu verschmelzen. Rauschenberg bezeichnete seine Werkgruppe der 1950er und 1960er Jahre als „Combine Paintings“. In diesen sind Gegenstände wie Radios, Werkzeuge oder Glühbirnen mit Gemälden verbunden. Auf ganz andere Weise gelingt dies Fersen und Weissköppel, in dem sie dekontextualisierte Bildteile, die Cutouts, räumlich miteinander verschränken und zu Environments zusammenstellen. An das „Bedroom Ensemble“ von Claes Oldenburg erinnert der paradoxe Versuch perspektivisch verkürzte Gegenstände, ein Phänomen zweidimensionaler Darstellungen, wieder in Objekte zu transformieren. Bei Fersen und Weissköppel sind es einige Cutouts wie ein Stromkasten aus der Seitenansicht, die dieses scheinbar Unmögliche vollbringen.

Sich mit Popkultur auseinanderzusetzen und sich inspirieren zu lassen, ist grundsätzlich ein Hinweis darauf, Popkultur nicht als niedere Kunst zu betrachten und die Hierarchie low and high nicht zu akzeptieren. Ein Kulturindustriebegriff im Sinn von Adorno/Horkheimer in „Dialektik der Aufklärung“ erscheint heute in der Tat als überholt. Massenhaft verbreitete populäre Kultur war für sie – um es überspitzt auszudrücken - lediglich eine Methode, die Bevölkerung zu verdummen. Popkultur bildet jedoch und dies haben spätestens die 1960er Jahre gezeigt, eine Möglichkeit die existierenden gesellschaftlichen Widersprüche in einer besonders attraktiven und emotional aufgeladenen Weise abzubilden. Gerade jugendkulturelle Strömungen machten Pop zum Medium von emanzipatorischen Bewegungen, wobei bestimmte Strategien von Stilbildung und Adaption eine wichtige Rolle spielten. Werbe- und Popkulturbilder umgeben uns heute wie eine zweite Realität, eine, die auf uns attraktiv und verführerisch wirkt. Von daher ist es mehr als legitim, sich als bildende Künstler mit der Bilderwelt der Massenmedien auseinanderzusetzen. Schon der Titel „Steve McQueen versucht eine Skulptur zu sein“ verrät, dass es sich bei dieser Ausstellung von Fersen und Weissköppel um eine Begegnung von Popkultur und bildender Kunst handelt. Kein Zweifel, dieser Versuch ist gelungen.